Artikel aus TOUR 12/2000


Elitetruppe

Für Team Telekom brechen jetzt wirklich harte Zeiten an. Denn Brägel gründet eine Profi-Mannschaft.

Es war noch nicht mal richtig hell, als es Montagmorgen an der Haustür klingelte. Natürlich war es Brägel, ein bisschen derangiert wie immer, aber sonst sah er recht nüchtern aus. "Hör' zu", sagte er, "ich möchte von dir eine Haarprobe, bevor du deinen Vertrag kriegst." Vertrag? Brägel schaute ein wenig verwundert, fragte, ob ich noch nichts davon gehört hätte, schließlich würde ja der ganze Radclub seit Tagen von nichts anderem reden. Ich hab' ihn schnell reingezerrt in die Wohnung und die Türe zugemacht, bevor noch ein zufälliger Ohrenzeuge den Psychiatrischen Eildienst alarmiert. Also, der Reihe nach. Brägel plant die Gründung eines Profiteams. Was heißt plant, er hat schon einen Namen und einen Sponsor. Die Mannschaft nennt sich "Autohaus Rolf-Hubert Maier" und soll im Frühjahr 2001 die ersten Rennen bestreiten. Der alte Maier hat Brägel 6.000 Mark und einen zwölf Jahre alten Kombi übergeben, weil der Lapp ihm die Teilnahme an der Deutschland-Tour für 2001 zugesagt hat - und für das Jahr darauf mindestens den Giro, wahrscheinlich sogar die Tour. Auch die Gärtnerei Friedensreich Vogel hat 500 Mark locker gemacht. Im Falle einer Tour-Teilnahme verpflichtet sich Herr Vogel zudem, das Grab von Brägels Opa fünf Jahre lang kostenlos zu pflegen. Interesse hat auch das Damen-Konfektionshaus Weller ("Größe 40 oder mehr: komm' zu Weller, bitte sehr") angemeldet.

Okay", sage ich, "wenn alles sensationell gut für dich läuft, werden es vielleicht 10.000 Märker, also ungefähr so viel, wie wir im Radclub für unseren letzten Ausflug nach Mallorca ausgegeben haben. Für die Kohle gibt es vielleicht einen Satz Trikots und fünf gemeinsame Busfahrten zu RTFs in unserer näheren Umgebung; das war's dann aber auch." Und einen GS-10-Status gibt es meines Wissens auch nicht. Also eine reine Schnapsidee. Der Vorteil für Brägel ist allerdings, dass er, wenn es nicht klappt, und das erscheint mir unvermeidlich, wegen der paar Mark nicht besonders lange in den Knast einfährt.

Du musst deine Träume leben", entgegnet Brägel mit einem Lächeln, das er seit seinem letzten "Ich-bin-so-supergut"- Managerseminar vor sich her trägt. So ähnlich, meint Brägel, sage das auch der Herr, der jetzt das Team Coast nach oben peppen will. Mag sein, aber der Herr Coast schiebt dafür ziemlich genau tausendmal mehr Kohle 'rüber, als Brägel vielleicht jemals zusammenkratzen kann. Und wer soll eigentlich die Rennen fahren? Nun ja, bis jetzt habe er schon einmal den Sohn vom Zahnarzt aus dem Nachbarort sicher. Der hat schließlich im Juli "Rund um den Hatzenfurter See" gewonnen und da sei ja immerhin auch ein Eliteamateur am Start gewesen, meint Brägel. Das stimmt, der Amateur sollte sich aber dabei nach einer Verletzung aktiv regenerieren und nur mit Puls 140 mitrollen. So stand es wenigstens in der Zeitung. Außerdem sei es doch ein wenig dünn, sich mit einem 17-jährigen Schüler für die Deutschland-Tour zu bewerben. Gut, gut, meint er, aber die anderen Jungs aus dem Radclub seien Feuer und Flamme, und von mir hätte er jetzt gerne die Telefonnummer von Udo Bölts. Mein Gott, Brägel! Bölts ist zwar ein netter Kerl und hört sich deine Geschichte aus Höflichkeit sicher an, aber die Chance, dass er bei deinem Budget und deinem bisherigen Team auch nur einen Meter für "Autohaus Rolf-Hubert Maier" fährt, ist äußerst gering. "Mag sein", sagt Brägel, "aber Bölts wird zuhören, weil ja auch der Zülle 2001 bei uns fährt." Und dann erzählt er, dass er dem Manager des Schweizers ein Angebot gemacht hat. Zülle soll 20 Prozent mehr bekommen als bei Coast. Noch hat er nicht geantwortet, aber Brägel ist zuversichtlich. "Du kannst doch nicht einmal die Portorechnung vom Manager zahlen", sage ich. Brägel kontert sanft: "Du musst deine Träume leben." Es könnte auch ein Alptraum werden. Wer macht eigentlich den Sportlichen Leiter, will ich wissen. "Na ich", kommt es prompt. Er könne Auto fahren, Hotels buchen und "schneller, schneller, jetzt volle Kanne" brüllen. Das sollte doch reichen, oder? Damit hat er im Prinzip sogar Recht, aber wie gesagt, ohne Rennfahrer und mit dem alten Kombi vom Maier wird es nicht ganz leicht werden.

Dann hat es mich doch interessiert, warum, um Himmels Willen, Brägel von mir eine Haarprobe will. "Wir fahren drogenfrei", erklärt er, "und du bist als Kapitän für die kleineren Rennen vorgesehen." Ich? Mit 43 Jahren? Klar, sagt Brägel, Danny Clark hat im August bei der Tasmanien-Rundfahrt eine Etappe gewonnen. Und der ist schon fast 50. Stimmt, aber Danny-Boy besteht wahrscheinlich keinen Haartest, war mal richtig gut und trainiert zehnmal mehr als ich, weil er ja sonst nichts zu tun hat in Tasmanien. Spätestens jetzt ist klar, dass Brägel völlig übergeschnappt ist. Andererseits, wenn man es sich so überlegt. Da gibt es jemanden, der einem in meinem Alter noch das Vertrauen schenken will, der einem Führungsaufgaben zutraut. Habe ich am Ende Brägel all die Jahre falsch eingeschätzt? Ein bisschen gerührt trenne ich mich von einem Büschel Haupthaar. Am Nachmittag werde ich bei Optik-Seeböck anrufen. Der Sohn vom Chef schuldet mir noch einen Gefallen. Vielleicht steigen sie ja ein in unser Team. Außerdem habe ich exzellente Kontakte zum Gasthof "Zum stillen Zecher". Die könnten auch noch ein paar Mark rausrücken, nach all dem, was ich da schon liegengelassen habe. Werden die Haare auch auf Weizenbier untersucht, will ich wissen. Brägel schüttelt den Kopf. Dann kann es ja losgehen.

Jürgen Löhle