Artikel aus der Zeitschrift TOUR 2/2003


GELOBT SEI..

Will Brägel nicht, oder kann er nicht? Nein, nicht was Sie jetzt denken. Sportlich ist alles in Ordnung. Aber Viola ist unzufrieden

Liebe Leserinnen, vorweg ein kleiner Hinweis: Wir müssen uns heute leider mit einem delikaten Männerthema beschäftigen. Wenn Sie daran kein Interesse haben, hier bitte aussteigen. Danke. Es ist ein lustiger Abend im Radclub. Wir bilanzieren und verklären die vergangene Saison, trinken mächtig, geloben für das Frühjahr Besserung und planen den Ausflug zur Tour de France. Nur Brägel ist so merkwürdig ruhig. Erst beim dritten Weizen lässt er endlich die Hosen runter, natürlich nur verbal. "Viola will noch ein Kind", nuschelt er. Eigentlich kein Grund zur Panik. Brägel ist zwar schon etwas angejahrt, aber heutzutage, wo sich die meisten Menschen bis Mitte 30 an Universitäten oder auf mehrjährigen Urlaubsreisen selbst verwirklichen, ist das kein brennendes Problem. Außerdem hat Brägel einen Job, dank Güntherjauch ein pralles Konto, für den Porsche gibt es sicher einen passenden Kindersitz, und der Hund hat sich doch auch längst an Jan-Miguel gewöhnt. "Schon", jault Brägel, "aber, ähem - ich verspüre in letzter Zeit immer weniger, na ja, ihr wisst schon... Lust." Alle Wetter - das wussten wir nicht. Woher auch. Das ist natürlich ein Problem, bei dem wir vom Radclub zunächst mal ganz wenig machen können, obwohl sich der alte Hans sofort als Helfer in der Not ins Spiel bringt.

Ganz selbstlos, versteht sich. Hans hat da aber schon vier Weizen im Kopf, und um allen Missverständnissen vorzubeugen, auf dieses Niveau begeben wir uns selbstredend nicht. Obwohl: Wenn es tatsächlich nicht anders gehen sollte, würde dieser Job natürlich nicht öffentlich am Stammtisch ausgewürfelt, sondern nach charakterlichen und genetischen Kriterien vergeben werden. Und im Übrigen habe ich Brägel schon oft aus der Patsche geholfen und erst neulich den Sprint angezogen. Also, wenn's denn sein muss. Ich nehme Brägel zur Seite und biete meinem alten Freund an, ... "Blödmann", knurrt Brägel. "Na, dann lass' dich halt nicht so hängen", antworte ich ein bisschen zu laut. Alle lachen.

Das ist natürlich gemein. So geht man nicht mit einem um, der die Terrasse des Clubheims gesponsert hat und sich mit einem derart heiklen Problem offen an seine Freunde wendet.

Also beginnen wir die Therapie mit einigen Tipps aus dem reichen Erfahrungsschatz mittelalterlicher Väter. Zunächst mal muss Brägel sein Schlafzimmer jetzt im Winter wenigstens ein kleines bisschen heizen; der Hund darf nicht mehr ins Bett und Jan-Miguel soll nachts in sein Kinderzimmer. Zusätzlich soll Brägel abends Sellerie essen oder sich einige von seinen Testosteron-Ampullen spritzen, die er sich im vergangenen Jahr vor jeder RTF reingehauen hat. "Das Zeug ist gut", lallt Hans, "da wirste zum Tier." Uns würde jetzt natürlich interessieren, woher Hans das weiß, aber das ist ein anderes Thema.

Leider steckt Brägel 14 Tage später noch tiefer im Winterblues. Viola ist sauer, weil er reichlich dilettantisch einen Migräneanfall inszeniert, als sie ihm mit dem Thermometer wedelnd die günstige Zeit ansagt. "Schatzi, kohomm", flötet sie. Brägel greift sich mit gequältem Blick ins Kreuz und stöhnt. "Ich hab' Migräne." Migräne sei krampfartiger Kopfschmerz, erkläre ich ihm, und dass es jetzt wirklich an der Zeit wäre, der Sache richtig auf den Grund zu gehen. Ein Besuch beim Urologen bringt aber auch keinen klinischen Befund. Der Doktor rät zu Bewegung an frischer Luft und drückt ihm verstohlen einen Katalog mit den Hilfsmitteln eines einschlägig bekannten Unternehmens in die Hand. Wir prüfen den Katalog stundenlang kritisch am Stammtisch und befinden die komischen Dinge darin für untauglich, zumal der alte Hans einen ganz roten Kopf bekommt und dauernd "unglaublich" murmelt.

Brägels Schwäche muss also doch etwas mit unserem schönen Sport zu tun haben. Nach langem Nachhaken beichtet der Lapp schließlich, dass er heimlich an seiner Frühjahrsform feilt. Jedes Wochenende fährt er zweimal 90 Kilometer, und zwar in der kurzen Hose, weil das besser aussieht. Wir wissen zwar nicht, was an Brägels roten Kniescheiben und reifgefrorenen Beinhaaren gut aussehen soll, können aber nachvollziehen, dass er nach vier Stunden Landstraße bei minus drei Grad für den Rest des Tages locker als Frau durchgehen könnte. Außerdem fährt er jeden Abend noch zwei Stunden im Keller mit 200 Watt auf der Rolle, und das mit einem viel zu hohen Sattel, dessen Spitze auch noch leicht nach oben zeigt, wie wir beim Ortstermin feststellen müssen. Dies ist, wie jeder weiß, von den Druckverhältnissen her ganz ungünstig, um nicht zu sagen fahrlässig. Danach schaut er sich auf Video "Die nackte Kanone" an, weil er "bei Leslie Nielsen immer so gut entspannen kann".

Wir erklären ihm, dass er gerade nicht entspannen soll, verbieten ihm die Wochenendfahrten (auch wegen der sonst zu guten Form), montieren sechs Zentimeter tiefer einen Gelsattel mit nach unten geneigter Spitze und reduzieren die Bremse auf 100 Watt. "Damit danach auch noch ein Lichtlein brennt", sage ich und bin stolz auf meinen unschlagbaren Wortwitz. Außerdem bekommt Hans den Auftrag, Brägel ein Video aus diesem Urologen-Katalog zu bestellen, den er nach dem Stammtisch mit nach Hause genommen hat. Das müsste genügen. So kommt Brägel auf dem Rad garantiert nicht in gefährlich gute Frühform und rettet außerdem sein familiäres Glück. Wir haben ihn seither zwei Wochen nicht mehr gesehen. Es scheint also doch noch zu klappen. Und wenn nicht, mein Angebot steht (unschlagbarer Wortwitz). Ich meine, Freundschaften beweisen sich manchmal eben erst in höchster Not.

P.S.: Falls doch eine Frau weitergelesen hat- nichts für ungut.

Jürgen Löhle