Artikel aus TOUR 6/2000


Harte Schale- weiche Birne?

Man fährt nicht mehr ohne: Ein paar Verweigerer des Helmfragens gibt's zwar noch - aber die lassen sich mit sanftem Nachdruck auch noch überreden. Oder besser noch: Sie schlagen sich mit ihren eigenen Waffen...

Konrad", sprach meine Frau, "du arbeitest doch mit dem Kopf." "Hrnm." "Und ausserdem bist du jetzt in einem Alter, ich meine, schliesslich hast du Frau und Kinder - also, was ich damit sagen will: Kauf dir einen Helm!"

Aaah, da war es plötzlich, dieses Pfuiwort: 'HELM'. Sie wollte, dass ich mir einen Helm auf die Rübe setze. Ich konnte mir schon genau vorstellen, was die anderen harten Jungs zu mir sagen würden. Waschlappen, Weichei, Warmduscher...

Mit Helm zu fahren ist nämlich unmännlich, müssen Sie wissen. Ohne Helm aber gehört man zu dieser gusseisernen Truppe der Freiheitskämpfer, der Unbeugsamen wie Rambo, Luke Skywalker oder Dr. Sommerfeld vom Bülowbogen. Zu den letzten Aufrechten eben. Auch wenn es den Kopf kostet. Helm? Nein, nein, nein! Wo einem doch sonst schon alles vorgeschrieben wird. Helm? Nie und nimmer! "Äh, was sagst du, Schatz? Einen Helm? Ja natürlich kauf ich mir einen Helm. Gleich morgen."

So ist das Leben. Da stand ich nun im Shop vor dieser riesigen Regalwand. Darin lagen die unterschiedlichsten Helm-Modelle in den unglaublichsten Formen und Farben. "Na, haben sie dich so weit?", zischten die Plastikmonster grinsend herunter. "Irgendwie sehen die aus wie aus einem Science-Fiction-Film", sagte ich wenig begeistert und der Verkäufer meinte: "Ach, man gewöhnt sich an alles." "Okay, okay, aber was heisst hier überhaupt Helm? Das sind doch eher Siebe mit den vielen Löchern. Oder sind die vielleicht kaputt?!" "Nein, nein. Das sind Belüftungsöffnungen, damit Ihnen die Birne nicht glüht." "Ach was!" "Jaja, wir rühren nur erste Qualität. Mit dem Co-Molding-Hardbody-Schalensystem, Coolmaxpolster und Insta-Fit-Gurten, Cam-Locks oder PosiLock-Visier." "Was Sie nicht sagen!" "Wollen Sie mal einen probieren?" "Klar, vielleicht den mit RocLock-System, was immer das auch sein mag." Ein vorsichtiger Blick in den Spiegel. Entsetzlich! Ich sah aus wie eine mutierte Ameise. "Passt ja prima", meinte der Verkäufer, worauf ich sagte: "Damit hätte ich Angst, als Alten verhaftet zu werden. Hätten Sie nicht etwas Schlichteres?" "Klar, hat sogar schon diese neue Schliesse."

Den ersten Praxis-Test unternahm ich am nächsten Morgen um sechs Uhr. Musste ja nicht jeder sehen. Praktisch und schnell sollte der Verschluss sein, hatte der Verkäufer gesagt, und millimetergenau auf jedes Doppelkinn einstellbar. Aha - dieses Teil da hinein und dann anschiebeeeeen" Der Schmerz war fürchterlich. Irgendwie hatte ich ein Stück Haut in den Verschluss gebracht und konnte ihn jetzt nicht mehr öffnen. Ich trat wie ein Irrer in die Pedale und fahr zum Shop. Dort gleich in die Werkstatt, wo man mich mit einer Zange und viel gutem Zureden von dem Folterinstrument befreite. "Einmal umtauschen, bitte!" "Ist aber ein wenig wärmer." "Egal, 'Hauptsache, ich verblute nicht schon beim Aufsetzen."

Nach etwa zehn Kilometern spürte ich ein Schlingern im Kopf. Eine Art Schwabbeln. Also brachte ich meinen Renner zum Stehen und nahm den Helm ab. Oh Gott! Mindestens zwei Liter gestauter Schweiss liefen wie aus einem Eimer über mein Gesicht!

"Hab' ich doch gesagt, der ist etwas wärmer", meinte der Verkäufer. "Etwas ist gut. Noch zwei Kilometer und ich wäre beim Helmabnehmen ersoffen! Geben Sie mir einen kühleren."

Der nächste Helm bestand eigentlich mehr aus Löchern als aus Helm und hielt die Birne echt kühl. Ich merkte kaum, dass ich was aufhatte und pedalierte fröhlich dahin, bis ich ein leises Summen hörte. Nach einer Weile hörte ich das Summen doppelt, dann dreifach, und dann kam ich drauf: Mücken! Bienen! Wespen! Im Helm! Hilfeee!!!

"Ja, wenn da einer empfindlich ist..." "Na hören Sie mal, Insekten gehören nicht in einen Helm. Das stört!" Ich bekam einen Helm mit Insektengitter in den Belüftungsöffnungen. Der war ganz angenehm. Doch wenn ich damit fahr, hatte ich ein scharfes Pfeifen in den Ohren. Vielleicht drückte der Helm auf die Hörnerven? Nicht auszudenken!

Ich also gleich wieder zum Rad-Shop. "Das sind nur die Insektengitter, die pfeifen leise." "Das können Sie laut sagen. Die pfeifen ja jetzt noch, wo der Helm schon zehn Minuten auf dem Ladentisch liegt!"

Die Nummer mit diesem Helm schaffte mich, und ich versuchte meine Frau auf eine etwas fester gewebte Radmütze runterzuhandeln. "Die Profis fahren auch nur mir Mütze." "Die arbeiten ja auch nicht mit dem Kopf, sondern mit den Beinen!" "Dann vielleicht einen Sturzring? Das ist ein Klassiker. Putzt ungemein und schützt auch ein wenig!" Aber sie blieb stur. "Sieh's doch mal so: Ein Helm versaut die Aerodynamik, deshalb fährt ja auch der Pantani mit diesem superglatten Tuch." "Da musst du dir aber erst 'ne Glatze rasieren", meinte sie lachend.

Ha. Diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich liess mir einen Kahlschlag verpassen und schlang verwegen ein gelbes Piratentuch darüber. Dann präsentierte ich mich meiner Frau. Noch nie habe ich einen Menschen so lachen gehört. Um ein Haar wäre sie kollabiert. "Dann lieber ohne Tuch...", japste sie, und ich legte meine Glatze frei. Das gab ihr den Rest. Sie konnte gerade noch "dann fahr' lieber so..." herauspressen. Sieg! Stolz stieg ich auf den Renner und legte glücklich und ohne irgendeine Störung auf dem Kopf los.

Tags darauf begann die Rübe entsetzlich zu jucken. Die Kopfhaut war dunkelrot geschwollen und zeigte deutliche Blasenbildung. "Tja", sagte mein Hausarzt, "ziemlich schlimmer Sonnenbrand." "Kann ich damit Rad fahren? Am Wochenende will ich 'ne grössere Tour machen..." Ja, das dürfte schon gehen." Mir fiel ein Stein vom Herzen. "Aber", sagte der Doktor, "nur mit Helm!" Und so ergab ich mich in mein Schicksal. "Klar. Ich wollte mir sowieso einen kaufen. Wissen Sie, ich arbeite ja mit dem Kopf - und schliesslich hab' ich Frau und Kinder..."

Tomy Brandner