Artikel aus der Zeitschrift TOUR 3/2001


INSELDUELL

Für gute Laune und glänzende Frühform hilft nur eines: Ein Trainingscamp im sonnigen Süden. Wenn man dann noch einen fähigen Touren Guide bekommt...

Was für ein Tag. Die Sonne lacht, Frühling liegt in der Luft, irgendwelche Säfte schießen kurzum: Ich fühle mich perfekt. Und dann das: Brägel schleicht durch den Hausgang, den Blick am Boden, ein Bild des Jammers. Ebenfalls kurzum: Mit seiner Flamme ist es wieder mal aus. Mit den Mädels ist es bei ihm wie mit dem Rad fahren es will einfach nicht so recht klappen. "Flieg' doch nach Mallorca", sag' ich zu ihm, "buch' eine Woche in einem Radcamp, das lenkt ab. Ich nehme so lange den Hund."

Dummerweise fand Brägel die Idee ausgezeichnet und hat statt einer Woche gleich vier gebucht: nicht als Gast, sondern als Guide. Beim Bewerbungstelefonat hat er sein Alter deutlich runter und seine Jahreskilometerzahl deutlich hoch gesetzt. Sie wollen ihn für einen Monat. Gehalt null, Kost, Logis und zwei Sätze Trikots frei. Ich habe noch eingewendet, dass auch ein Blinder ihm die 32 Jahre nicht abnimmt, dass er 10.000 Kilometer vielleicht in drei Sommern zusammenbringt, dass er erst einmal auf der Insel war, sich dabei jeden Tag verfahren hat und dass der langsamste Schnitt einer Radgruppe immer noch ein 22er ist. Das war ihm alles wurscht, der Hund sowieso. Er hat sich noch ein Spanisch Wörterbuch gekauft, eine Schachtel Kreatin, eine Klinikpackung Kondome, und weg war er.

Das hat uns im Radklub natürlich gefuchst. Also haben wir einen Kontrollbesuch beschlossen und sind zwei Wochen später nachgeflogen. Den Hund haben wir mitgenommen, was eine ziemliche Tortur war, weil er mittlerweile so groß ist, dass er kaum in die Kiste gepasst hat. Irgendwie haben wir die Anreise gemeistert und wollten gleich in Brägels Gruppe einchecken. Aber es gab keinen Brägel. Schließlich fanden wir sein Foto am Schwarzen Brett. Der Lapp firmiert als Kevin aus Neuseeland. Er führt die Fatburning Gruppe, die mit 21er Schnitt 80 Kilometer pulskontrolliert rollt. Dabei gibt er die Geschichte, dass er aus Neuseeland sei und in Europa ein wenig Spaß haben wolle. Er könne Deutsch, weil er deutsche Vorfahren habe. Warum er als Neuseeländer kaum Englisch versteht, erklärt er nicht.

Am nächsten Morgen trifft ihn fast der Schlag, als wir plötzlich am Sammelplatz erscheinen, aber wir lassen ihm seine Geschichte. Brägel sieht ordentlich aus, er hat ein bisschen abgenommen, die Beine sind rasiert und leicht gebräunt, trotzdem ist der Kerl nicht bester Laune. Seine Gruppe besteht aus 16 Männern und zwei Frauen, eine davon ist 49, Krankenschwester aus Idar Oberstein und seit 25 Jahren glücklich verheiratet, wie sie betont. Die andere 26, Studentin in München, die die Radwoche von ihrem Vater geschenkt bekommen hat, der das für eine sehr gute Idee hielt. Sie nicht. Schlechte Zeiten also für Kevin aus Neuseeland. "Wir fahren ans Cap Formentor", brüllt Brägel, der ein kanariengelbes Trikot mit roten Punkten und einen Helm in Orange trägt. Die Hose ist von Kelme, also grün blau. Dazu präsentiert er ein schwarzes Carbonrad mit roten Magnesiumpedalen nebst einer verspiegelten Sonnenbrille, ein Werbegeschenk von "Innenausbau Habermaier", wie auf dem Bügel steht. Vor der Abfahrt müssen wir uns an den Händen fassen und ,Ja, ja, ja" brüllen das hat er auf einem Gratis Infoabend bei Scientology gelernt. Seinen linken Unterarm hat er sich tätowieren lassen. "I will, I do", steht dort. Wir wundern uns ein bisschen: Das Cap Formentor ist gerade mal 35 Kilometer entfernt, und, wie gesagt, Schnitt 21, Puls maximal 130. Aber was soll's. Nach fünf Kilometern kommen wir an eine Kreuzung. "Cap Formentor" steht auf einem Schild, das nach rechts weist. Brägel fährt links. "Ich kenne einen besseren Weg", sagt er und sülzt in holperigem Englisch hinterher: "I know a special way, you know", weil auch zwei Amis in der Gruppe sind. Gleich danach beginnt die Straße zu steigen und erheblich schlechter zu werden. Die Pulsfrequenz von 130 ist nur noch bei 6 km/h zu halten. Kurz danach gar nicht mehr, was bei 15 Prozent Steigung auch nicht wundert. Brägel, Verzeihung, Kevin lächelt unsicher, fingert nach seiner Karte und stürzt, als er versucht, bei 5 km/h freihändig zu fahren. Hanni, die Krankenschwester, fällt über ihn, was ziemlich lustig aussieht. Sie bleiben ein wenig zu lange liegen. Susanne aus München ist es langweilig: "Geht's weiter oder was?"

Es geht weiter, nur weiß keiner, wohin. Auf Brägels "Generalkarte Spanien" ist Mallorca so groß wie ein Daumennagel. Beim Versuch, auf einer Finca nach dem Weg zu fragen, wird er beinahe von zwei Dobermännern zerrissen. Später erfahren wir, dass dort ein mittelmäßig berühmter Zuhälter aus St. Pauli wohnt. Wir drehen um, kommen nach einer halben Stunde wieder an die Kreuzung und fahren dem Schild nach Richtung Formentor. Nach drei Kilometern hat Susanne einen Platten. "Wir warten, bis du fertig bist", sagt Brägel gönnerhaft, aber Susi jammert: "Ich kann das nicht." Brägel auch nicht, weshalb er am Schlauch herumwurschtelt, bis wir ihm helfen. Wir sind jetzt zwei Stunden unterwegs. Unseren Fatburning Puls haben wir etwa fünf Minuten gehalten.

Kurz danach beginnt es zu regnen. "Weiter", bellt Brägel. Wir kommen an einem Restaurant vorbei, in dem die Rollergruppe aus unserem Camp (24er Schnitt) eingekehrt ist. Allerdings sind die schon auf dem Rückweg. "Am Cap gibt's auch ein Cafe", raunzt Brägel und fährt weiter. Am Cap gibt es eine Imbissbude, und die ist zu. Susi wird böse und beleidigt Brägel, der mit einem "Pedalschlampe, bucklige" kontert. Die Amis lachen, der Rest schweigt.

Auf dem Heimweg versucht sich Kevin als Radlehrer, korrigiert Trittfrequenz und Sitzhöhen und erhellt uns mit Fachkommentaren wie: "Mehr über dem Lager sitzen", oder "Ellenbogen tiefer bei Nasenatmung". Uns reicht's. Es ist kalt, windig, und wir haben noch 25 Kilometer vor uns. Also setzen wir uns an die Spitze und treiben den Schnitt und den Puls hoch schließlich hockt der Hund im Hotel und muss endlich Gassi. Wir fahren einen lockeren 30er, die anderen folgen erfreut, Brägel und die Krankenschwester müssen abreißen lassen. "Sehen wir uns heute abend, Kevin?", flötet Hanni trotz 25 Ehejahren später im Radkeller. "Sure", nuschelt Brägel und klappert mit den Augendeckeln. Leider kam es nicht zum Rendezvous. Die "Pedalschlampe" hatte sich beschwert. Kevin wurde gefeuert und musste noch am Abend sein Zimmer räumen.

Am nächsten Tag ist er samt Hund nach Hause geflogen. Wir sind noch ein bisschen geblieben und haben uns in die Gruppe mit dem 26er Schnitt eingetragen. Unser Guide heißt Lars, und er sagt, er sei aus Schweden. Schau'n mer mal.

Jürgen Löhle