Artikel aus der Zeitschrift TOUR 5/2001


LIVE DABEI

Wer sich jemals über die Berichterstattung von der Tour de France aufgeregt hat, sollte sich eines vor Augen führen: Es könnte viel schlimmer sein - wenn nämlich Brägel als Reporter unterwegs ist

Leider müssen wir an dieser Stelle kurz in eigener Sache Stellung nehmen. Journalisten gelten hierzulande meist als ölige Dunkelmänner, die in anderer Leute Privatleben herumschnüffeln, arme Prominente bedrängen und mit Fotoapparaten tagelang in Büschen hocken, um Stars und Adlige zu knipsen. Dem Himmel sei Dank, so denkt man gerne, gibt es noch wehrhafte Recken wie zum Prinzen Ernst Haugust zu Hannover, der in seinen Pinkelpausen schmierige Schmierer verdrischt. Natürlich ist dieses Berufsbild eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und wird meistens von denen verbreitet, die sich am Kiosk mit dem ganzen Promischrott eindecken. Wir Sportschreiber haben zwar ein klein wenig besseres Ansehen, aber seit ein paar Tagen ist auch unser Beruf in Gefahr, tiefer im öffentlichen Ansehen zu sinken.

Denn: Brägel will Reporter werden. Und nicht nur das. Er will unbedingt von der Tour de France berichten. Seine erste Bewerbung ging gleich an die ARD — und wurde mit einem Standardbrief abgewimmelt. Eventuell könnte er als Chauffeur für die Moderatoren anheuern, hieß es darin am Schluss. Eurosport schickte ihm einen Werbebrief und eine Schildmütze, die FAZ bedankte sich für sein Schreiben, wies aber darauf hin, dass ihre Mitarbeiter im Dienst nur extrem selten Radhosen tragen und wünschte ihm alles Gute. Doch Brägel blieb hartnäckig und war schließlich erfolgreich: Bei einem Privarradio in unserem Ort mit dem Namen "Welle Yuppie-du" und schätzungsweise 1.350 Hörern. Seine Versuche, für "Yuppie-du" eine Sendegenehmigung von der Tour de France zu bekommen, schlugen jedoch fehl. Was tat Brägel? Er fuhr trotzdem zum Start der Tour. "Die Hörer sollen spüren, wie hart das ist", erklärte er seinen Plan, die Schlüsselstellen der schweren Etappen am Vortag selbst hoch zu radeln und darüber live zu berichten. Der Sender war begeistert, sendete Brägels Aufnahmen aber dann doch nicht, da sie sich anhörten, als hechle ein Schwerkranker um Gnade. Und dazu lachten die Zuschauer im Hintergrund.

"Näher ran an den Sport", forderte die Heimatredaktion. Brägel reagierte prompt, wurde aber von der Motorradeskorte der Tour rüde von der Straße gedrängelt, als er neben dem Feld her radelte und dem erstaunten Erik Zabel das Mikro unter die Nase hielt. Fragen konnte er allerdings nichts, da er kaum noch Luft bekam, obwohl die Etappe gerade mal zehn Kilometer alt war und das Feld noch bummelte.

Tags darauf entging er nur knapp einer Tracht Prügel, als er die Mechaniker des US Postal Teams fragte, wo sie die Dopingmittel für Lance lagern würden. Die Herren wurde daraufhin sehr einsilbig und bedeuteten Brägel mit dem langen 15er-Pedalschlüssel in der Hand, dass das Interview hier und jetzt beendet sei. Und zwar finally. Dazu sagten sie etwa 1.500-mal "fuck", was Brägel allerdings nicht verstand.

Schief ging auch sein Interview mit Mario Cipollini hinter dem Ziel der achren Etappe. Nach zehn Minuten stellte sich heraus, dass Brägel sich mit einem gewissen Franko aus Wattenscheid unterhielt, einem Fan von Super-Mario, der mit geöltem Haar und im Saeco-Dress zur Tour gekommen war und seinem Vorbild entfernt ähnlich sah. Aber nur sehr entfernt. Dass Cipo kein deutsch kann, hätte allerdings auch Brägel wissen müssen.

Er hat aber nicht aufgegeben, und sich nach etlichen Versuchen einen Interviewtermin mit einem italienischen Profi erkämpft, der ganz ordentlich in den Bergen fährt. Das Interview verlief folgendermaßen:

Brägel: Und?
Profi: ??????
Brägel: Mann, wie is et?
Profi: Nixe nett. Hart.
Brägel: Ja gut, äh ... hart, harto treto, brutalo?
Profi: ???????
Brägel: Grandioso Passo. Alpo Hüezo, morto, tutto?
Profi: Sorry, do you speak English?
Brägel: ??????
Profi: Ich will wissen, was du sagen?
Brägel: Grazie für Informatione!
Profi: Prego!

Yappie-du" hat das Werk tatsächlich gesendet. Brägel war glücklich und lief zu großer Form auf. Tags darauf stürmte er unerschrocken zu einer Live-Einblendung in den Speisesaal des Telekom-Hotels. "Liebe Hörer", bellte er ins Mikro, "es ist neun Uhr und ich stehe hier neben Udo Bölts, der gerade Spaghetti mir Honig isst. So etwas würde nicht einmal mein Hund fressen - zurück ins Studio." Bölts nahm's mit Humor, aber Telekom stellte künftig einen Ordner vor die Tür. Brägel war das egal, er sendete jetzt täglich den "Aktuellen Zweizeiler" aus Frankreich. "Ein Spritzlein Morphin, schon rollt's in Morzine" brachte ihm dann zum ersten Mal Ärger ein. Die Tour drohte Brägel mit dem Entzug seiner Akkreditierung, was allerdings ein ziemlich schwaches Druckmittel war, da er gar keine hatte. Und Brägel war noch nicht am Ende, er hatte noch eine Vision: ein Exklusivinterview mit Jan Ullrich. Täglich nervte er alle und jeden, und schließlich bekam er tatsächlich die Chance für drei Fragen am Ende einer offiziellen Pressekonferenz. "Sach mal, Jan", röhrte Brägel ins Mikro, "wie kommt man mir so einer Plauze eigentlich den Berg hoch?" Auf die Antwort waren natürlich alle gespannt, aber es gab keine. Frage zwei und drei fielen aus.

Brägel fuhr beleidigt nach Hause. Die Jungs seien alle viel zu empfindlich, verstünden keinen Spaß. Und die Journalisten, bah - überall nur handzahme Schleimer. Er wolle sich nun wieder mehr den lokalen Themen zuwenden, kleinere Rennen und RTFs. Von den Sattelgöttern habe er genug. Schade eigentlich, irgendwie war Brägel ein netter Kollege.

Jürgen Löhle